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Zehntausend Stunden

Der neue IKEA-Katalog ist da!

Er war ja schon immer ein besonderes Exemplar unter seinen Artgenossen, der IKEA-Katalog. Er hatte auch schon immer – zumindest so weit ich zurückdenken kann – einen vergleichsweise hohen Textanteil. Lange bevor die Rede war von Content Marketing, enthüllte der IKEA-Katalog das Geheimnis der flachen Pakete und pflegte seine ganz eigene Einrichtungsprosa – zusammengefasst: „Es ist eigentlich ganz einfach auf einem Sofa zu sitzen, das nur für dich entworfen wurde.“

Aber dieses Jahr ähnelt er schon mehr einem Magazin als einem Katalog. Und das nicht deshalb, weil immer mehr Magazine aussehen wie Kataloge. Sondern weil er mehrere Magazinstrecken enthält. Ich zähle ganze elf – und ich rede hier von echten Lesestücken.

Von wegen Print is dead, von wegen nur noch Micro-Content funktioniert: Der IKEA-Katalog zeigt, dass es anders geht

Alle, die den Abgesang der langen Texte (noch dazu auf Papier gedruckt!) singen, mögen sich den neuen IKEA-Katalog zu Gemüte führen.

„Improvisiert und total inspirierend: Jonah Reiders Kochstil“ hab ich so auch schon vor 15 Jahren über Jamie Oliver gelesen. War’s in der „Amica“?

Ein paar Seiten weiter lernen wir „Die Küchenchefs von morgen“ kennen. Das Stück könnte genauso in „Eltern“ stehen, Kostprobe: „‚Mit geeigneten Küchenhelfern macht es Kindern richtig Spaß, zu schälen und zu schnippeln. Und sie können vieles gefahrlos ausprobieren‘, sagt Bryan. ‚Das baut Ängste ab. Bei Eltern die Angst vor gefährlichen Messern und bei Kindern die Angst vor unbekanntem Gemüse.'“

Angst vor unbekanntem Gemüse, schon klar.

Der nächste Text im IKEA-Katalog ist schon näher dran an den gewohnten IKEA-Themen: „Wie flexibel kann ein Sofa sein?“ Auf einer Doppelseite wird die Entstehungsgeschichte der neuen Sofa-Kollektion ausgebreitet.

Dann wird es philosophisch: „Was macht eine Wohnung zum Zuhause?“ Vier Interviews mit coolen jungen und nicht ganz so jungen Leuten auf zwei Doppelseiten.

Wieso eigentlich Texterin, nicht Redakteurin?

„Schwedisch – ganz und gar“ erklärt auf einer Doppelseite die persönliche Schweden-Erfahrung einer amerikanischen IKEA-Texterin. Stünde da statt „Texterin“ „Redakteurin“, wären wir in der „Brigitte“.

Es folgt die nächste Reportage – erwähnte ich schon, dass die einzelnen Stücke tatsächlich als Reportagen gekennzeichnet sind? „Eine Unterkunft für Flüchtlinge“ berichtet auf zwei Doppelseiten von Flüchtlingen, die in Einraum-Unterkünften einer IKEA-Stiftung leben. Es ist wirklich eine Reportage, ganz klassisch mit szenischem Einstieg, mehreren Protagonisten, vielen Zitaten und geschickt eingewobenen Zahlen und Fakten.

Eine weitere sogenannte Reportage, die aber im Gegensatz zum vorigen Stück keine ist, sondern eine Art Content-Marketing-Essay: „Warum gutes Design demokratisch ist“. Ich habe am Ende des einseitigen Textes noch nicht verstanden, inwiefern IKEA-Design demokratisch sein soll. Bin mir auch nicht sicher, ob Design überhaupt demokratisch sein kann. Aber sei’s drum, die Frage ist jedenfalls interessant – und ich bin immer noch im IKEA-Katalog, nicht in „Hohe Luft“.

Treue Mitarbeiter, glückliche Kindergesichter im IKEA-Katalog

„Die Sache mit der Qualität“, vier Seiten, davon zwei ein Interview mit Jan Ahlsen, der „seit fast 40 Jahen als Spezialist für Material und Innovation“ tätig ist.

„Möbel aus Papier? Wirklich?“ sind wieder zwei Doppelseiten mit coolen Leuten, die bei IKEA arbeiten. Dann kommt noch – endlich – „Das Geheimnis unserer flachen Pakete“, ein altes Lieblingsthema von IKEA, ich kann mich nicht erinnern, es schon so ausführlich behandelt gesehen zu haben.

Und dann noch einmal „Spielend lernen“ zwei Doppelseiten mit vielen glücklichen Kindergesichtern. „Was gibt es Schöneres“, fragt der Text. Nicht viel, sage ich.

IKEA-Katalog auch online: „Lade die App herunter!“ Ich eile…

Der neue IKEA-Katalog: fast mehr Content als Marketing. Zeigt uns, dass nicht jeder die Zukunft im Micro-Content allein sieht. Ferner, dass Marken wirklich zu Verlagen werden – die Werbemittel nehmen halt nicht mehr den Umweg über die Anzeigenabteilung.

Und der IKEA-Katalog zeigt, dass das Spiel mit den Kanälen funktioniert. Zumindest bei mir: „Lade die IKEA Katalog App herunter und erfahre mehr über unsere Reportagen.“ Das mach ich jetzt.

Und teile meine Erkenntnisse demnächst an dieser Stelle 😊

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