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Zehntausend Stunden

Gendern in der Unternehmenskommunikation

(Dieser Text wurde am 27. Mai und am 7. Juli 2021 aktualisiert.)

Zurzeit benutze ich den Genderdoppelpunkt. Aber rate ich auch meinen Kund:innen zum Gendern in der Unternehmenskommunikation?

Antwort: Das kommt darauf an.

Und zwar darauf, wo sich das Unternehmen in der gesellschaftlichen Entwicklung positionieren will.

Gehört es zur Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts? Ist es Mainstream? Oder traditionell? Noch genauer gefragt: Wo verorten sich die Zielgruppen des Unternehmens und was erwarten sie sich von dem Unternehmen?

Gendern ist (auch) eine Frage der Opportunität

Falls das für Sie so klingt, als sei Gendern eine Sache für Opportunist:innen – das stimmt zumindest teilweise.

Beim Gendern geht es nicht nur um Moral. Sondern auch darum, was opportun ist, weil es sich für manche Unternehmen positiv auf den Geschäftserfolg auswirkt. Eine kleine Studie hat gezeigt, dass Gendern die Performance von Werbeanzeigen erhöhen kann – gerade Männer klicken häufiger drauf! Umgekehrt kann Gendern für ein Unternehmen auch nicht opportun sein, weil es negative Folgen für den Geschäftserfolg hätte.

Es gibt reichlich ethische Gründe für eine geschlechtergerechte Sprache, die anderswo dargelegt werden.

Die Positionierung eines Unternehmens in der gesellschaftlichen Entwicklung ist jedoch nicht nur eine Frage der Ethik. Sondern auch eine Frage zielgruppengerechter Kommunikation.

Typischer Ablauf der Diskussion: von der Moral zum Pragmatismus

Wenn hinter verschlossenen Türen entschieden wird, wie ein Unternehmen es künftig mit dem Gendern halten will, geht es meistens erst einmal um die Moral:

Akzeptieren alle am Tisch die Prämissen, dass

  1. Sprache Einfluss auf die Wirklichkeit hat und
  2. alle Menschen, egal welchen Geschlechts, das Recht auf die gleichen Chancen haben?

Die Antwort auf diese Fragen lautet ziemlich schnell: Ja.

Nächste Frage – sind auf der Grundlage dieser Prämissen die Forderungen nach geschlechtergerechter Sprache berechtigt?

Auch diese Frage findet meistens schnell eine Antwort: Ja, aber.

Denn nur weil die Entscheider:innen am Tisch die Forderungen nach geschlechtergerechter Sprache grundsätzlich berechtigt finden, wollen sie noch lange nicht automatisch Gendersternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte in ihren Marketingmaterialien sehen.

Das ist verständlich: Sprache beeinflusst nicht nur die Wirklichkeit, sondern auch den Unternehmenserfolg. Die meisten Führungskräfte verstehen ihren Job so, dass sie in erster Linie den Unternehmenserfolg sicherstellen sollen.

Und dann erst den gesellschaftlichen Fortschritt vorantreiben.

Gendern ist eine Frage des Wordings

Aus Sicht der Unternehmenskommunikation ist gendergerechte Sprache eine Frage des Wordings. Und das überlegen sich Kommunikationsprofis normalerweise sehr gut.

Wenn die Diskussion sich von der ethisch-moralischen Ebene auf die Sachebene des zielgruppengerechten Wordings verlagert, rückt die Lösung näher.

Jetzt geht es darum, welche Sprachregeln sich aus der Positionierung des Unternehmens ableiten lassen: Wie sehen sich seine Zielgruppen?

  • Sind sie ganz vorne dabei in der gesellschaftlichen Entwicklung, selbst wenn sie damit einer Minderheit angehören?
  • Wollen sie schon gern modern sein, aber dabei bitte nicht aus dem Rahmen fallen?
  • Oder wollen sie, dass alles so bleibt, wie es ist – oder wieder so wird wie es war?

Ob ein Unternehmen gendert oder nicht, sagt etwas über seinen Standort aus: Zählt es sich zur gesellschaftlichen Avantgarde? Schwimmt es in der Mitte mit? Oder wirkt es als Beharrungskraft?

Entscheidungshilfen zum Gendern in der Unternehmenskommunikation

Nach meinem Verständnis der aktuellen Sprachentwicklung kommen Unternehmen, die sich zur Avantgarde zählen oder deren Zielgruppen ausgeprägte Modernität erwarten, nicht ums Gendern samt Sonderzeichen herum.

LinkedIn zum Beispiel gendert mit Doppelpunkt.

Auch für traditionelle Unternehmen, deren Zielgruppen möglichst wenig Veränderungen wünschen, ist die Entscheidung einfach: Gendern ist für diese Unternehmen kontraproduktiv. So lange das so ist, sollten sie es bleiben lassen.

Die Unternehmen in der Mitte stehen vor der schwierigsten Entscheidung: Sie sollten sich ihre Zielgruppen genau auf die Genderfrage hin anschauen – und ihren Standort auf dem Spektrum gesellschaftlichen Fortschritts sorgfältig bestimmen.

Die aktuelle Sprachentwicklung im Auge behalten

Denn wir können nicht nicht kommunizieren. Spätestens seit das Gendersternchen prägende gesellschaftliche Bewegungen wie die Klimaschützer:innen erobert hat, kann sich ein Unternehmen nicht nicht zur geschlechtergerechten Sprache verhalten.

Auch wer nicht gendert, sollte es darum bewusst tun. Und die gesellschaftliche und sprachliche Entwicklung im Auge behalten. Denn die ist rasant und was heute für eine moderne, aber nicht avantgardistische Zielgruppe akzeptabel erscheint, kann morgen altbacken und übermorgen zynisch klingen.

Ich bin der Auffassung, dass die Genderfrage in der Unternehmenskommunikation mindestens einmal jährlich neu gestellt werden sollte. Sprache verändert sich unter dem Einfluss globaler Bewegungen wie Fridays for Future und Me too schneller denn je.

Warum ich gendere

Abgesehen von den moralischen Gründen, s. oben, gendere ich seit Anfang 2020, weil es meiner Positionierung entspricht: Ich biete Dienstleistungen für die Unternehmenskommunikation an – darum habe ich den Finger auf dem Puls der Sprachentwicklung.

Ich zähle vielleicht nicht selbst zur Avantgarde. Aber meine Zielgruppen erwarten ausgeprägte Modernität von mir. Mit Recht, denn Kommunikation findet in der Gegenwart statt.

Darum habe ich zuerst mit dem Gendersternchen gegendert, später mit dem Doppelpunkt (s. unten).

Mit diesen Zeichen können Sie gendern

Wer sich entscheidet zu gendern, hat die Wahl. Es gibt

  • das Gendersternchen
  • das Binnen-I,
  • den Unterstrich,
  • den Doppelpunkt und
  • die gute alte Nennung der vollständigen weiblichen und männlichen Form.

Binnen-I und Nennung der weiblichen und männlichen Form

Das Binnen-I ist eine Erfindung des Feminismus der 1970er Jahre. Es ist also bald 50 Jahre alt. Seit das Gendersternchen, der Unterstrich und seit Mitte 2020 der Doppelpunkt zunehmende Verbreitung gefunden haben, ist das Binnen-I – zumindest für mein Sprachgefühl – etwas altmodisch.

Das mag auch daran liegen, dass es den Nutzer:innen des Binnen-Is jahrzehntelang nur darum ging, Frauen in der Sprache sichtbar zu machen. Weitere Geschlechter waren kein Thema.

Das gleiche gilt für die Nennung der vollständigen weiblichen und männlichen Form – Kolleginnen und Kollegen. Auch sie berücksichtigt nur zwei Geschlechter. Sie hat aber den Vorteil, dass sie  nicht so stark in den Lesefluss eingreift wie Binnen-I, Unterstrich, Doppelpunkt und Gendersternchen.

Gendersternchen, Unterstrich und Doppelpunkt

Gendersternchen, Unterstrich – Kolleg_innen – und Doppelpunkt wollen alle Geschlechter sichtbar machen: männlich, weiblich, divers.

Bis 2020 kam der Doppelpunkt – Kolleg:innen – relativ selten zum Einsatz. Inzwischen ist er stark im Kommen, weil er von Text-zu-Sprache-Programmen als Pause vorgelesen wird. Damit trägt er einerseits zur Barrierefreiheit bei. Und passt andererseits in den Trend, immer mehr Texte zusätzlich im Audioformat anzubieten.

Darum habe ich mich nach guten anderthalb Jahren mit dem Gendersternchen entschieden, selbst ebenfalls den Doppelpunkt zu nutzen (und diesen Text am 27. Mai 2021 entsprechend aktualisiert).

Tipps zum geschickten Gendern

Einfach nur überall ein Sonderzeichen benutzen, wo ein Wort mit Geschlechtszuschreibung fällt, ist natürlich eine Möglichkeit. Geschickter ist es, diese Zeichen sparsam einzusetzen, immer im Bewusstsein ihrer mehrfachen, teils positiven, teils negativen Wirkung:

  • Signalwirkung zur Positionierung,
  • Ermutigung der Leser:innen, nicht nur Männer vor ihrem geistigen Auge zu haben, sondern auch Frauen und andere Geschlechter,
  • aber auch Unterbrechung des Leseflusses.

Um unter sparsamer Verwendung von Sonderzeichen zu gendern, brauchen wir alternative Formulierungen. Hier finden Sie die ultimative Liste.

Beratung zum Gendern in der Unternehmenskommunikation

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